Werke von Giovanni Pierluigi da Palestrina

Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525–1594) gilt als Hauptvertreter der altitalienischen Vokalpolyphonie und der sogenannten Römischen Schule, einer Gruppe von Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts, die infolge des Konzils von Trient insbesondere das A-Cappella-Ideal prägte, welches auch in kirchenmusikalischen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts eine Rolle spielte. Für Fortunato Santini hatte Palestrina eine besondere Bedeutung, die sein ganzes Sammlerleben und sein Selbstverständnis als „Sacrae Musices Cultor et Propagator“ beeinflusste. Nahe gebracht wurde ihm die Römische Schule bereits ab seiner Zeit im Waisenhaus durch seinen langjährigen Lehrer Giuseppe Jannacconi, der als Schlüsselfigur für die Wiederbelebung der Musik Palestrinas um die Jahrhundertwende gilt. Bereits Jannacconis Lehrer Pasquale Pisari war ebenfalls ein Verehrer und Kenner der Werke Palestrinas gewesen.  

Auch Santini verehrte erklärtermaßen den „Retter der Kirchenmusik“ und war bemüht, die Werke des Komponisten zu bewahren, zu verbreiten und aufzuführen. Der Vermerk auf einigen seiner Abschriften „Per l’esercizio di Musica sagra antica“ weist bereits auf diese Motivation einer praktischen Auseinandersetzung hin. Sein eigener musikalischer Zirkel in seiner Wohnung in der Via dell’Anima in den 1830er und 1840er Jahren war ein Ort dafür: Neben eigenen Kompositionen Santinis und Werken anderer Zeitgenossen erklangen eben auch Kompositionen Palestrinas. Santini veranstaltete am 29. Februar 1844 gar einen Festakt zu Ehren des Renaissance-Komponisten, bei dem unter anderem eine speziell vom Bildhauer Pietro Galli angefertigte Palestrina-Büste feierlich enthüllt wurde, begleitet von einer von Alessandro Carcano gehaltenen Festrede. Rebecka Lejeune Dirichlet, Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, war bei dieser Feierlichkeit anwesend und schilderte ihrer Schwester Fanny Hensel kurz darauf in einem Brief das Erlebte wenig schmeichelhaft: „Neulich war eine schrecklich langweilige Verherrlichung bei Santini, der hatte eine Büste von Palestrina mit einer Serviette zugedeckt und dann mit Begleitung einer Rede, Recitirung von hundert Sonetten und einer grässlichen papalen Musik aufgedeckt, dabei waren lauter Mönche und wir“ (Sebastian Hensel: Die Familie Mendelssohn 1729–1847. Nach Briefen und Tagebüchern, Bd. 3, Berlin 1879, S. 119). So despektierlich dieses Briefzitat auch klingt, es verdeutlicht anschaulich, dass Santini und sein Umfeld einen regelrechten Kult um den Komponisten betrieben – eine Tendenz, mit der sie angesichts der im 19. Jahrhundert aufkommenden kirchenmusikalischen Reformbewegungen und der Rückbesinnung auf die altitalienische Vokalpolyphonie und das A-Cappella-Ideal keineswegs alleine waren.  

Für Santini stellte das Œuvre Palestrinas einen zentralen Sammelschwerpunkt dar. Heute sind in der Santini-Sammlung um die 900 Werke des Komponisten überliefert. Den größten Anteil macht dabei Palestrinas geistliche Vokalmusik aus, wie Messen, Motetten und andere geistliche Gesänge. Aber auch Madrigale finden sich in geringerer Menge wieder. Das meiste davon kopierte Santini selbst in zahlreichen römischen Archiven wie etwa der Biblioteca Corsiniana, der Biblioteca Apostolica Vaticana oder der Biblioteca Collegio Romano aus Handschriften oder Drucken, wie aus vielen Vermerken in seinen Abschriften hervorgeht. Einige alte Drucke besaß Santini auch selbst, so wie das Missarum liber secundus aus dem Jahr 1598, das unter anderem die bekannte Missa Papae Marcelli enthält, und erstellte aus den vorliegenden Stimmen eine Partitur für seine Sammlung. Auch sein Ziehsohn und Kopist Saverio Cartegatti übernahm vermutlich einige Kopierarbeiten für Santini. Außerdem erhielt Santini Abschriften von Tauschpartnern wie Raphael Georg Kiesewetter, Bernhard Quante oder Carl Proske. Darüber hinaus tauschte Santini sich auch mit dem französischen Musikwissenschaftler Alexandre-Étienne Choron aus. In seiner Sammlung ist unter anderem ein Bestandsverzeichnis Chorons erhalten, das auch Madrigale, Motetten und Messen Palestrinas aufführt. Zudem besaß Santini einen Druck der Missa ad fugam in einer Edition Chorons. Einige weitere Editionen aus dem 19. Jahrhundert, etwa von Pietro Alfieri, finden sich ebenso. Schließlich gelangte Santini auch an ältere Abschriften aus dem 18. Jahrhundert. Im Gesamtüberblick machen die eigenen Kopien Santinis aber den weitaus größten Anteil seiner Palestrina-Bestände aus.  

Die meisten dieser kopierten Werke sind in Sammelbänden überliefert. Neben knapp 50 Einzeltiteln gibt es um die 30 Sammelbände mit rund 500 enthaltenen Kompositionen Palestrinas. Hinzu kommen 50 Sammelbände mit über 1000 geistlichen Gesängen verschiedener Komponisten, von denen Werke Palestrinas ungefähr ein Drittel ausmachen. Zu erwähnen ist auch der Umstand, dass die Anzahl von Palestrina-Werken zu Santinis Zeit und auch nach seinem Tod noch einmal größer war, als es sich heute darstellt. Durch das verheerende Aa-Hochwasser in Münster im Jahr 1946 wurden viele der Palestrina-Überlieferungen der Santini-Sammlung unwiederbringlich zerstört.  

Santini baute aber nicht nur seinen eigenen Palestrina-Bestand kontinuierlich aus, er verbreitete die Werke ebenso über seine Tauschpartner und andere Kontakte. Erhielt er wie bereits erwähnt Palestrina-Abschriften von Kiesewetter, so schickte er gleichermaßen auch einige Abschriften an den Tauschpartner nach Wien, wie aus dem Rechnungsbuch, das das Tauschgeschäft zwischen Santini und Kiesewetter dokumentiert, hervorgeht. Dafür nahm Santini oftmals seine eigenen Abschriften als Vorlage, die somit in seiner eigenen Sammlung verblieben. Ähnliches gilt für etwa 150 Palestrina-Werke aus seinem Bestand, die für eine umfangreiche, 90 Bände umfassende Abschriftensammlung für den russischen Diplomaten Aleksandr Skarjatin, die Santini in den 1840er und 1850er Jahren mit Hilfe mehrerer Kopisten vornahm, kopiert wurden. Weitere Palestrina-Abschriften Santinis sind heute etwa im Archiv der Singakademie in Berlin und in vielen weiteren Bibliotheken überliefert. Santini trug also nicht nur zur Musikpflege innerhalb Roms, sondern auch zur internationalen Weiterverbreitung der Musik Palestrinas bei.  

Schließlich setzte sich Santini auch als Bearbeiter mit den Werken Palestrinas auseinander, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang als beispielsweise bei Georg Friedrich Händel. Vier solcher Bearbeitungen sind heute überliefert: Ich bin das Brot des Lebens, Danket dem Herrn, Vater unser sowie An den Wassern zu Babel. Wie bereits die Titel andeuten, unterlegte Santini die lateinischen Originalkompositionen mit einem deutschsprachigen Text. Die Vorlage von An den Wassern zu Babel, Super flumina Babylonis, besaß Santini ebenfalls, laut Angabe auf dem Titelblatt hatte er sie selbst aus einem Druck von 1604 kopiert und auch Domvikar Quante eine Abschrift zukommen lassen. Die Motivation für eine deutschsprachige Übersetzung ist also womöglich durch die Freundschaft zu Quante entstanden.  

Einspielungen

Literaturhinweise

  • Ackermann, Peter: Art. „Palestrina, Giovanni Pierluigi da“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart online.
  • Ammendola, Andrea: „‚Per l’Esercizio di Musica sagra Antica‘: Fortunato Santini als Sammler vokalpolyphoner Werke“, in: Sammeln – Komponieren – Bearbeiten. Der römische Abbate Fortunato Santini im Spiegel seines Schaffens, hrsg. von Peter Schmitz und Andrea Ammendola, Münster 2011, S. 66–69.
  • Dubowy, Norbert: Art. „Jannacconi, Giuseppe Gaetano Gasparro“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart online.
  • Schmitz, Peter: „‚Questo Omero dell’italiana musica‘ – Bemerkungen zur römischen Palestrina-Rezeption im Umfeld des Abbate Fortunato Santini“, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 96.2012 (2014), S. 49–62.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

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