Werke von Pietro Metastasio

Pietro Antonio Domenico Bonaventura Metastasio (1698–1782) gilt als einflussreichster Librettist des 18. Jahrhunderts, der vor allem für seine Opernlibretti berühmt geworden ist. 27 Drammi per musica hat er in seiner langen Schaffenszeit geschrieben, die hundertfach von etlichen Komponisten in ganz Europa vertont wurden und ein halbes Jahrhundert lang die Entwicklungen des ernsten Musiktheaters beeinflussten. Metastasios Bedeutung für die Opera seria im 18. Jahrhundert kann gar nicht genug hervorgehoben werden – seine Libretti im Stil klassizistischer Tragödien besaßen regelrechten Modellcharakter für die Operngattung. Metastasio wurde somit zeitlebens hochgeschätzt, auch dann noch, als der von ihm geprägte Operntypus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Präsenz und Bedeutung verlor. Erst mit den durch die Französische Revolution einhergehenden gesellschaftlichen Änderungen wurden Metastasios Texte als Spiegelbild des alten Gesellschaftssystems zunehmend kritisch wahrgenommen. Im 19. Jahrhundert gerieten sie dann weitestgehend in Vergessenheit, nur noch vereinzelt wurden Opern und andere Kompositionen auf Grundlage von Metastasio-Texten komponiert. Zu seinem Werk zählen außerdem 8 Oratorientexte, die ebenfalls vielfach vertont wurden. Darüber hinaus schrieb Metastasio über 30 Libretti für kleinere musikdramatische Gattungen (Azioni teatrali, Feste teatrali, Componimenti) sowie über 30 Kantaten, außerdem einige Kanzonetten, seine 33 Strofe per musica und schließlich poetische Texte, die nicht für eine Vertonung gedacht waren.

Bereits als Kind wurde Metastasio trotz seiner bescheidenen Hintergründe eine gehobene Bildung zuteil, was vor allem durch zwei Personen ermöglicht wurde: Sein Taufpate war Kardinal Pietro Ottoboni (1767–1740), der Musiker wie Arcangelo Corelli, Alessandro Scarlatti und Georg Friedrich Händel förderte und selbst auch Librettist war. Gian Vincenzo Gravina war Jurist, Literat und einer der einflussreichsten Intellektuellen in Rom zu dieser Zeit. Er wurde 1708 auf den zehnjährigen Pietro aufmerksam, der bereits Gedichte verfasste, adoptierte ihn bald mit dem Einverständnis seiner Eltern und nahm einen entscheidenden Einfluss auf seinen künstlerischen Werdegang. So trat sein Zögling auch in die von Gravina mitbegründete literarische Gesellschaft der Accademia dell’Arcadia ein, die einen entscheidenden Einfluss auf sein Opernverständnis haben würde. 1714 empfing der junge Metastasio die niederen Weihen in der Lateranbasilika.

Metastasios Schaffen lässt sich sodann in drei Phasen einteilen: Seine Zeit in Neapel als freischaffender Librettist, in der er unter anderem mit Didone abbandonata erste Erfolge erzielte (1720–1730), die ersten zehn Jahre am Hofe Karls VI. in Wien, die mit Werken wie Demofoonte oder La clemenza di Tito als Blütezeit seines Opernschaffens zu sehen ist und in der auch fast alle seine Oratorien entstanden (1730–1740), sowie die nach dem Tod Karls VI. folgende Zeit unter Maria Theresia, in der – bedingt durch politische und kulturelle Änderungen – das Dramma per musica zugunsten von kleineren musikdramatischen Werken und Kantaten in den Hintergrund trat (ab 1740 bis zu seinem Tod).

Etliche Komponisten widmeten sich Vertonungen von Metastasios Libretti, zum Teil auch mehrfach. Dabei kommt den Erstvertonungen sicherlich eine besondere Bedeutung zu. Für die Opern der frühen Schaffensphase in Neapel ist vor allem Leonardo Vinci zu nennen, der fünf solcher Erstvertonungen vornahm. Am Hof in Wien war es dann zunächst vor allem der Vizekapellmeister Antonio Caldara, der die meisten Erstvertonungen von Metastasios Opernlibretti komponierte. Als dann nach der Thronbesteigung Maria Theresias Metastasios Drammi per musica am Hof in Wien nicht mehr gefragt waren, war es vor allem Johann Adolf Hasse, der für die meisten Opern-Erstvertonungen verantwortlich zeichnete. Zu ihm hatte Metastasio bereits seit Beginn seiner Karriere in Neapel ein gutes und intensives Verhältnis und tauschte sich mit ihm auch über musikalische Aspekte seiner Umsetzungen aus. Der „divino Sassone“ hat, 1730 mit Artaserse beginnend, fast alle Opernlibretti Metastasios vertont, für sein Opernschaffen der folgenden vier Jahrzehnte stellen sie ein zentrales Merkmal dar. Eine lebenslange Freundschaft verband Metastasio auch mit dem Kastraten Farinelli.

In der Santini-Sammlung sind zahlreiche Vertonungen Metastasios überliefert, von denen die Opern den Großteil ausmachen. Bis auf drei Texte sind alle Libretti in unterschiedlicher Intensität vertreten: Gerade aus der Blütezeit der 1720er und 1730er Jahre sind sie gleich mehrfach in diversen Vertonungen aus verschiedenen Jahrzehnten repräsentiert. Insgesamt befinden sich 12 vollständige Opern in der Sammlung, darunter drei Erstvertonungen von Vinci sowie die erste Metastasio-Oper Hasses, Artaserse. Den größeren Anteil machen hingegen unvollständig überlieferte Opern bzw. einzelne Auszüge zumeist mit Arien oder Rezitativen (um die 100 Bände) aus. Darüber hinaus gibt es Sammelhandschriften mit Auszügen entweder verschiedener Opern eines einzelnen Komponisten oder mit Opernauszügen verschiedener Verfasser, oftmals auch in Kombination mit Kompositionen anderer Gattungen. Außerdem finden sich ca. 30 Vertonungen einzelner Arien, die keinen Bezug zu einer vollständigen Metastasio-Vertonung aufweisen, sowie weitere Kompositionen, in denen Operntexte Metastasios verarbeitet werden.

Auffällig ist, dass keine der Vertonungen Caldaras, die in Metastasios Wiener Zeit bis 1736 den Großteil der Erstvertonungen ausmachen, in der Santini-Sammlung vertreten ist – die in der Sammlung befindlichen Caldara-Opern stammen dagegen ausschließlich aus dessen Zeit vor seiner Anstellung in Wien und sind in zeitgenössischen Abschriften vor allem aus der Zeit seiner Anstellung bei Francesco Maria Ruspoli in Rom erhalten (ähnliches gilt auch für die Oratorien und Kantaten). Im Übrigen stammt auch nichts aus den umfangreichen Tauschgeschäften mit dem Wiener Musiksammler Raphael Georg Kiesewetter, obwohl dieser durchaus einige Metastasio-Vertonungen besaß und auch in den beiden Santini zugesandten Katalogen teilweise aufführte – darunter im heutigen Fonds Kiesewetter vier Oratorien (eben auch Caldaras La passione di Gesù Cristo), Vincis Oper Artaserse sowie ein Irene Kiesewetter gewidmetes Terzettino von Johann Baptist Arnold.

Bemerkenswert ist, dass es sich bei den in der Santini-Sammlung überlieferten Metastasio-Opern neben vereinzelten Autographen und Drucken fast ausschließlich um zeitgenössische Abschriften aus Metastasios Zeit handelt, oftmals vermutlich sogar aus dem jeweiligen Uraufführungsjahr. Die gelegentliche Nennung der Uraufführungsorte im Titel oder die Erwähnung der Interpreten lassen dabei einen direkten Zusammenhang zu diesen Uraufführungen vermuten. Überlieferungsgeschichtlich besonders interessant ist zudem die zeitgenössische Abschrift der Oper Achille in Sciro von Gennaro Manna, die Santini laut eigenem Vermerk in der Handschrift am 29. November 1828 von Charlotte Bonaparte Gabrieli, einer Nichte Napoleons, geschenkt bekommen hatte. Ursprüngliche Besitzerin der Abschrift war Laura Serra, III. Duchessa di Cassano, für die das Werk in einen Prachteinband mit Goldprägung gebunden worden war.

Santini selbst dagegen tritt nur zwei Mal als Schreiber in Erscheinung (Abschriften von L’Olimpiade von Francesco Bianchi sowie von zwei Arien Niccolò Antonio Zingarellis). An Autographen sind vor allem Antonino Reggios Quartette und Arien mit Operntexten Metastasios zu nennen, die zudem die einzigen Überlieferungen dieser Werke darstellen. Die Santini-Sammlung ist darüber hinaus im Besitz der einzigen bekannten vollständigen Partituren von Didone abbandonata (1751) von Manna sowie Demofoonte von Pasquale Anfossi (1773), beide überliefert in Abschriften vermutlich aus dem Uraufführungsjahr.

Von den 8 Oratorienlibretti Metastasios sind 6 in der Santini-Sammlung vertreten. Es gibt 10 vollständige Vertonungen sowie einige wenige Auszüge weiterer Werke. Auch hier handelt es sich vorwiegend um zeitgenössische Abschriften. Die vollständige Überlieferung der Vertonung von La passione di Gesù Cristo von Giovanni Paisiello stammt hingegen aus Santinis Feder. Zu nennen ist außerdem Karl Friedrich Rungenhagens Santini gewidmetes Autograph von 1842 mit einer Szene aus La morte d’Abel, die zudem die einzige in der Sammlung befindliche Komposition aus dem 19. Jahrhundert ist. Eine Besonderheit stellt ferner das Autograph von Giuseppe riconosciuto (1736) von Domingo Terradellas dar, das die einzige bekannte Überlieferung des Werks überhaupt ist. Gleiches gilt für die zeitgenössische Abschrift von Gaetano Andreozzis La passione di Gesù Cristo (1799). Beides bewarb Santini neben anderen Metastasio-Werken auch in seinem gedruckten Katalog von 1820.

Neben weiteren einzelnen Überlieferungen, darunter einige Kantaten und Auszüge aus Hasses Festa teatrale Alcide al bivio, ist abschließend noch Santinis eigene kompositorische Beschäftigung mit den Libretti Metastasios zu nennen. Als Teil seiner knapp 100 Kompositionen umfassenden Werkgruppe der weltlichen Duette mit Klavierbegleitung vertonte er die Strofe per musica für zwei Soprane und Pianoforte in einer Sammlung von 15 Duetten. 1827 widmete er sich zudem der Vertonung von
5 Kanzonetten Metastasios für die gleiche Besetzung. Singulär scheint seine Vertonung eines Abschnitts des Librettos L’Ape zu sein: Es handelt sich um den einzigen Text Metastasios der – obwohl dafür vorgesehen – zu Lebzeiten des Librettisten keine Vertonung erfuhr und von dem auch in der Folge keine überliefert ist – bis eben auf das kurze Stück Santinis, das dieser 1823 in Ferrara komponierte. Es handelt sich um eine Vertonung des Duetts zwischen Tirsi und Nice für zwei Soprane mit Cembalobegleitung, das sich in einer Sammelhandschrift mit acht weiteren Duetten befindet. Wie auch die anderen Duette schickte Santini seine Vertonung von L’Ape an Lady Bute. Dies legen entsprechende Vermerke in der Handschrift nahe.

Vollständig überlieferte Opern in der Santini-Sammlung (nach Kompositionsjahr)

  • Leonardo Vinci: Didone abbandonata (1726), Abschrift von 1730
  • Leonardo Vinci: Siroe rè die Persia (1726, erste Vertonung), Abschrift von 1728
  • Leonardo Vinci: Catone in Utica (1728, erste Vertonung), Abschrift mit  Nennung des Ortes (Teatro Alibert bzw. Teatro delle Dame in Rom)
  • Leonardo Vinci: Semiramide riconosciuta (1729, erste Vertonung), Abschrift
  • Johann Adolf Hasse: Artaserse (1730), Abschrift mit Nennung des Ortes (Teatro San Giovanni Crisostomo in Venedig)
  • Giovanni Battista Pergolesi: L’Olimpiade (1735), Abschrift
  • Gennaro Manna: Achille in Sciro (1745), Abschrift
  • Gennaro Manna: Didone abbandonata (1751), Abschrift mit Nennung des Ortes (Teatro San
    Giovanni Crisostomo in Venedig), einzige vollständige Überlieferung
  • Niccolò Piccini: L’Olimpiade (1761), Abschrift
  • Antonio Sacchini: Semiramide riconosciuta (1764), Abschrift mit Nennung des Ortes (Teatro Argentina in Rom)
  • Pasquale Anfossi: Alessandro nell’Indie (1772), Abschrift mit Nennung des Ortes (Teatro Argentina in Rom)
  • Pasquale Anfossi: Demofoonte (1773), Abschrift, einzige vollständige Überlieferung

Vollständig überlieferte Oratorien in der Santini-Sammlung (nach Kompositionsjahr):

  • Leonardo Leo: Sant’Elena al Calvario (1732), Abschrift
  • Domingo Terradellas: Giuseppe riconosciuto (1736), Autograph und einzige Überlieferung
  • Niccolò Jommelli: Betulia liberata (1743), Abschrift
  • Niccolò Jommelli: La passione di Gesù Cristo (1749), Abschrift und Druck
  • Niccolò Jommelli: Isacco figura del Redentore (1749), Abschrift
  • Niccolò Piccini: La morte d’Abel (1758), Abschrift
  • Giovanni Paisiello: La passione di Gesù Cristo (1783), Abschrift von Santini
  • Niccolò Antonio Zingarelli: La passione di Gesù Cristo (1787), Abschrift
  • Gaetano Andreozzi: La passione di Gesù Cristo (1799), Abschrift, einzige Überlieferung

Einspielungen

Literaturhinweise

  • Hortschansky, Klaus: „Die Rezeption der Wiener Dramen Metastasios in Italien“, in: Venezia e il melodramma nel Settecento, hrsg. von Maria Teresa Muraro (= Studi di musica veneta, Bd. 6), Florenz 1978, S. 407–420.
  • Krumeich, Kirsten: „Musica Sacra, e Profana … raccolta con sommo incommodo Schriftspuren des Sammlers Fortunato Santini“, in: Klang*erbe – Schrift*kultur. Max von Droste-Hülshoffs unbekannte Noten in der Diözesanbibliothek Münster, hrsg. von Kirsten Krumeich (= Ad fontem salientem. Schriften der Diözesanbibliothek Münster, Bd. 2), Münster 2018, S. 54–75.
  • Leopold, Silke: Art. „Metastasio, Pietro Antonio Domenico Bonaventura“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart online.
  • Leopold, Silke: „Die metastasianische Oper“, in: Die Musik des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Carl Dahlhaus (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 5), Laaber 1985, S. 73–84.
  • Neville, Don: Art. „Metastasio [Trapassi], Pietro (Antonio Domenico Bonaventura)“, in: Grove Music Online.
  • Sommer-Mathis, Andrea/Hilscher, Elisabeth Theresia (Hrsg.): Pietro Metastasio – uomo universale (1698–1782). Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 300. Geburtstag von Pietro Metastasio (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte, Bd. 676), Wien 2000.
  • Strohm, Reinhard: Die italienische Oper im 18. Jahrhundert (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft, Bd. 25), Wilhelmshaven 1979.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

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