Werke von Georg Friedrich Händel

Die Werke Georg Friedrich Händels (1685–1759) hatten für Fortunato Santini in zweifacher Hinsicht einen besonderen Stellenwert: zum einen als Sammelobjekte, zum anderen aber auch für seine Betätigung als Bearbeiter. Santinis Sammeltätigkeit erstreckte sich sowohl auf die römische Zeit Händels, also insbesondere das Kantatenschaffen, als auch auf dessen Zeit in England.

Aus Händels Zeit in Rom besaß Santini einige Schätze: In der Sammlung gibt es heute drei vollständige Originalhandschriften des Komponisten, die alle aus Rom stammen. Darüber hinaus konnte Santini an knapp 20 Bände mit zeitgenössischen Kopien von Händels italienischen Kopisten um Giuseppe Antonio Angelini gelangen. Dieser war Händels Hauptkopist und arbeitete eng mit ihm zusammen, andere in Angelinis Werkstatt beschäftigte Kopisten wie Alessandro Ginelli wirkten aber ebenfalls an den Abschriften mit. Darüber hinaus finden sich in einigen der Kopien autographe Spuren Händels wie Textunterlegung oder Korrekturen. In einer weiteren Abschrift von Angelini stammt eine einzelne Seite vollständig aus der Feder Händels.

Bei den Werken handelt es sich größtenteils um Kantaten, Händels Hauptgattung in seinen römischen Jahren. Außerdem finden sich in der Sammlung Santinis die zwei in Italien komponierten Oratorien Händels sowie zwei lateinische Motetten. Viele der Kompositionen sind nachweislich für den Marchesen Francesco Maria Ruspoli (1672–1731) entstanden, der Händel im Palazzo Bonelli als Gast empfangen hatte und für den Händel den Großteil seiner römischen Kompositionen schuf. Einige der Kantaten lassen sich direkt mit erhaltenen Kopistenrechnungen der Casa Ruspoli in Verbindung bringen. Auch von Antonio Caldara, der als Händels Nachfolger ebenfalls Kantaten für Ruspoli komponierte, konnte Santini etliche zeitgenössische Kopien, hier größtenteils von Caldaras Hauptkopist Francesco Antonio Lanciani geschrieben, in seine Sammlung aufnehmen.

Das umfangreichste Händel-Autograph in der Santini-Sammlung ist die Kantate Ah crudel nel pianto mio (HWV 78). Es handelt sich um eine Kantate mit obligaten Instrumenten, besetzt mit einer Sopranstimme, 2 Oboen, 2 Violinen, Viola und Basso continuo. Händel komponierte das Stück vermutlich für Kardinal Pietro Ottoboni, zwei spätere englische Kopien hingegen legen Ruspoli nahe. Die Uraufführung fand in Rom im Frühjahr 1707 statt. Das Stück ist in der British Library in zwei weiteren abschriftlichen Quellen überliefert.

Eine weitere Originalhandschrift aus der Santini-Sammlung ist Hendel non può mia musa cantare (HWV 117), eine kurze Kantate für eine Sopranstimme mit Generalbassbegleitung. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kantaten Händels ist der Textdichter dieser Komposition bekannt: Es handelt sich um Kardinal Benedetto Pamphilj, der sich in seiner Dichtung an direkt Händel wendet und sein Genie preist, wofür er unter anderem einen Vergleich mit Orpheus zieht. Die Überschwänglichkeit des Textes spiegelt sich allerdings nicht in der musikalischen Umsetzung wider. Händel war diese Lobhudelei offenbar unangenehm. Es ist überliefert, dass er den Kardinal später mit Bezug auf den Text einen „old fool“ nannte. Die Aufführung fand vermutlich im Jahr 1708 statt. Eine Abschrift der Kantate aus der Kopistenwerkstatt Angelinis ist ebenfalls in der Santini-Sammlung überliefert, für die außerdem eine entsprechende Rechnung vom 9. August 1708 existiert.

Schließlich ist auch ein Werk einer von Händel sehr wenig bedienten Gattung als Autograph in der Santini-Sammlung überliefert: die lateinische Motette O qualis de caelo sonus (HWV 239). Händel komponierte insgesamt nur vier solcher Motetten, die zu seinen unbekanntesten Werken zählen. Der Aufbau entsprach im Wesentlichen dem einer Solokantate mit Sonata, Rezitativen und Arien, aber mit einem abschließenden Alleluja. Die Uraufführung von O qualis de caelo sonus fand auf dem Landsitz des Marchesen Ruspoli in S. Sebastiano in Vignanello bei Rom statt, zu Pfingsten im Jahr 1707 am 11. oder am 12. Juni. Der Text eines anonymen Verfassers bezieht sich somit auch auf das Pfingstfest. Die Komposition ist für Sopran, 2 Violinen und Basso continuo geschrieben. Der autographen Partitur ist eine Abschrift der Solostimme mit Basso continuo des Kopisten Angelini beigefügt. Es handelt sich um die einzige Überlieferung des Werks, das somit erst im 20. Jahrhundert durch die Santini-Forscher Karl Gustav Fellerer und Rudolf Ewerhart entdeckt wurde. Dem Händel-Forscher Friedrich Chrysander etwa stand das Werk für seine Händel-Gesamtausgabe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht zur Verfügung.

Beim in der Santini-Sammlung vorzufindenden Werkbestand aus Händels Zeit in England fällt hingegen ein etwas anders gelagerter Sammelfokus auf: Die reine Sammeltätigkeit Santinis bezog sich vorwiegend auf Druckausgaben von zahlreichen Oratorien, Anthems, Opern und auch etwas Instrumentalmusik. Größtenteils handelt es sich um Exemplare der in den 1780ern und 1790ern erschienenen Ausgabe von Samuel Arnold. Die vorliegenden Handschriften dagegen sind gewissermaßen das Produkt der Auseinandersetzung Santinis mit diesen Drucken: seine Bearbeitungen mit Textübersetzungen ins Italienische oder Lateinische. Mehrere Oratorien wie Messiah (HWV 56), Israel in Egypt (HWV 54) oder Judas Maccabaeus (HWV 63) sowie verschiedene Anthems oder Te Deum-Kompositionen übersetzte Santini in diversen Handschriften. Santinis Bearbeitung des Messiah beispielsweise ist in zwei Manuskripten überliefert: Die Chöre des Oratoriums fasste er in einer eigenen Handschrift zusammen, eine weitere enthält den Messiah ohne die Chöre. Die Spuren von Santinis Bearbeitungspraxis finden sich wiederum auch in den besagten Arnold-Drucken wieder: Hier trug Santini oftmals als ersten Arbeitsschritt seinen vorgesehenen Text in die Partitur ein.

Santini, der sich selbst als „Propagatore della musica antica tedesca“ (Julius Hübner: „Aus meinem Leben“, in: Rübezahl, Schlesische Provinzialblätter 76 (1872), S. 12–13) sah, war es ein großes Anliegen, die Musik Händels in Italien zu verbreiten. Die Übersetzung des englischen Originaltexts ins Italienische oder Lateinische sollte dabei diesem Zweck dienlich sein. Ähnlich verfuhr er beispielsweise mit seinen Bearbeitungen von Werken Johann Sebastian Bachs, die er aus dem Deutschen ins Lateinische übersetzte. Auch für eine weitaus prominentere Händel-Bearbeitung scheint Santini eine nicht unwichtige Rolle als Vermittler gespielt haben: Er war es nämlich, der Felix Mendelssohn Bartholdy die Partitur von Händels Solomon (HWV 67) zukommen ließ, die Mendelssohn als Grundlage seiner Bearbeitung bzw. seiner aufführungspraktischen Einrichtung des Oratoriums verwendete und beim 17. Niederrheinischen Musikfest aufführte, dort mit deutschsprachigem Text.

Autograph Händels

Auswahl von Kopien aus der Werkstatt Giuseppe Antonio Angelinis

Einspielungen

Literaturhinweise

  • Ammendola, Andrea: „‚..per farne conoscere il merito‘: Fortunato Santinis Bearbeitungspraxis“, in: Sammeln – Komponieren – Bearbeiten. Der römische Abbate Fortunato Santini im Spiegel seines Schaffens, hrsg. von Peter Schmitz und Andrea Ammendola, Münster 2011, S. 93–97.
  • Marx, Hans Joachim: Art. „Händel, Georg Friedrich“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart online.
  • Marx, Hans Joachim: „Motetten“, in: Händels Kirchenmusik und vokale Kammermusik, hrsg. von Hans Joachim Marx in Verbindung mit Michele Callela (= Das Händel-Handbuch, Bd. 4), Laaber 2012, S. 190–209.
  • Marx, Hans Joachim: „The Santini Collection“, in: Handel Collections and their History, hrsg. von Terence Best, Oxford 1993, S. 184–197.
  • Romagnoli, Angela: „Kantaten (HWV 77–177)“, aus dem Italienischen übersetzt von Michele Callela, in: Händels Kirchenmusik und vokale Kammermusik, hrsg. von Hans Joachim Marx in Verbindung mit Michele Callela (= Das Händel-Handbuch, Bd. 4), Laaber 2012, S. 397–496.
  • Schmitz, Peter: „Fortunato Santini und die römische Händel-Pflege in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Händel-Jahrbuch 58 (2012), S. 253–270.
  • Schmitz, Peter: „‚Propagatore della musica antica tedesca‘: Fortunato Santini als Sammler von Werken Georg Friedrich Händels“, in: Sammeln – Komponieren – Bearbeiten. Der römische Abbate Fortunato Santini im Spiegel seines Schaffens, hrsg. von Peter Schmitz und Andrea Ammendola, Münster 2011, S. 70–77.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

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