Edward Goddard

 †1878

Reverend Edward Henry Emilius Goddard war ein anglikanischer Geistlicher, Musik- und Kunstsammler, der ursprünglich aus dem kleinen Dorf East Woodhay in der Grafschaft Hampshire in England stammte. Er graduierte am Sidney Sussex College in Cambridge. Seit 1823 war er Vicar in Pagham bei Chichester, seit 1829 im ebenfalls bei Chichester gelegenen Eartham.

Der mitunter als „well-known Musical Amateur“ bezeichnete Reverend Goddard war vor allem am Sammeln von geistlicher Musik und an Werken Georg Friedrich Händels interessiert. So gelangte er bereits in England bei Auktionen in den Besitz von Händel-Manuskripten. In den 1830er und 1840er Jahren hielt er sich zeitweise in Rom auf, wo er unter anderem mehrere Händel-Autographe erwarb. In der Ewigen Stadt traf er auch auf Fortunato Santini, der sich ebenfalls intensiv mit Händels Werken – etwa durch Bearbeitungen – auseinandersetzte. Die beiden Sammler tauschten mehrfach Manuskripte aus. Goddard erhielt von Santini etwa das Aufführungsmaterial von Händels lateinischen Kirchenkompositionen für die Casa Colonna, das Santini aus deren Bibliothek erworben hatte. Als Muttersprachler half Goddard Santini auch bei der Übersetzung von Händels Alexanderfest vom Englischen ins Italienische, wie ein entsprechendes Dokument in der Santini-Sammlung belegt. Eine anschließend erfolgte Bearbeitung des Werks durch Santini ist jedoch nicht überliefert (Aufschluss über eine Beschäftigung damit gibt ein in Santinis Druckexemplar des Werks eingelegtes Blatt mit einer weiteren Übersetzung aus fremder Hand).

Offenbar war Goddard auch institutionell sehr umtriebig in Rom. Am 15. Januar 1839 wurde er zum Ehrenmitglied der Accademia di Santa Cecilia ernannt (in Abwesenheit) und in deren Catalogo dei maestri Compositori, dei professorii di musica e socii di onore von 1845 im Abschnitt „Soccii di honore, stranieri“ mit einem Eintrag aufgeführt: „Goddard Edoardo Enrico Emilio , di East Woodhay (Provincia di Hampshire, Inghilterra) 15. gennajo 1839. 3001. assente.“

Der englische Reverend lebte in Rom in der Via San Sebastianello Nr. 8 im zweiten Stock, wie aus einem an diese Anschrift adressierten Brief von 1835 von Santini an Goddard hervorgeht, später dann – zumindest im Jahr 1843 – in der Via del Corso, was ein Vermerk in einer Handschrift Santinis nahelegt. Wie lange die Romaufenthalte Goddards jeweils dauerten, ist nicht eindeutig zu beantworten, erwiesen ist aber, dass es sich um mehrere Reisen nach Italien gehandelt haben muss und Goddard immer wieder in England war. Den frühesten Hinweis auf einen Aufenthalt liefert eine heute in der British Library aufbewahrte Handschrift aus Goddards Sammlung, ein Requiem von Claudio Casciolini: Zu Beginn der Partitur notierte der Reverend, dass er das Werk im Jahr 1830 im Petersdom anlässlich des Todestags Papst Leos XII gehört habe. Hinweise auf Chichester in einer Handschrift Santinis von 1834 legen nahe, dass der Reverend zu dieser Zeit wiederum in England war. Im Juni 1842 wurde Goddard an der Oxford University als „ad eundem“ aufgenommen, was ebenfalls auf einen Aufenthalt in England hinweisen könnte. Frühestens 1848 kopierte Santini sodann zwei ursprünglich Aleksandr Skarjatin respektive dem russischen Fürsten und Diplomaten Grigori Wolkonski gewidmete geistliche Gesänge für Goddard, wie eine Notiz am Ende von Santinis Exemplar offenbart – der bislang jüngste Nachweis eines Kontakts. Fest steht in jedem Fall, dass Santini und Goddard Musikalien nicht nur innerhalb Roms, sondern auch zwischen Rom und England austauschten.

Santini gelangte durch den Reverend Goddard an einige Drucke von Werken englischer Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts. In manchen dieser Drucke befinden sich zudem handschriftliche Widmungen des Reverends an Santini. So vermerkte er in einem von Alfred Bennett und William Marshall herausgegebenen Sammeldruck mit dem Titel Cathedral Chants: „To the Abate Santini, from his friend E. Goddard.“ Im Übrigen wird Goddard in diesem Band als Subskribent in einer dem Notentext vorangestellten Subskribentenliste aufgeführt. In dem Druck Specimens of various styles of music heißt es: „T. the abate Santini from EGoddard. 1834“. Am Ende des Bands notierte Santini ihn anscheinend besonders interessierende Kompositionen: „pag. 6 = 20 = 38 = 120 = 134 =“. Es handelt sich hierbei um Werke von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Giacomo Carissimi, Alessandro Scarlatti, Benedetto Marcello und Johann Adolf Hasse.

Ein auf den Reverend Goddard und seinen Musikalienbestand deutender Provenienzvermerk findet sich in einer von Santini selbst im Jahr 1843 erstellten Sammelhandschrift: Santini gab hier an, die enthaltenen drei Madrigale von Orazio Vecchi in Goddards besagter Wohnung in der Via del Corso angefertigt zu haben, und zwar am Montag, Dienstag und Donnerstag des Karnevals 1843, bei dem traditionell die berühmten Pferderennen und Umzüge in der Via del Corso stattfanden – auch Johann Wolfgang von Goethe, der gut 60 Jahre zuvor in der Via del Corso Nr. 18 Quartier bezogen hatte, berichtete in seiner Italienischen Reise von diesem Spektakel. Santini betonte weiterhin in seinem Manuskript, dass er die Kopierarbeit trotz des Trubels auf der Straße vorgenommen habe: „non ostante il grandissimo strepito delle maschere, Carozze &&“. Offenbar ließ sich der fleißige Abbate davon nicht beim Schreiben stören.

Auch Goddard gelangte durch Santini an wertvolle Handschriften, neben dem erwähnten Händel-Aufführungsmaterial etwa auch an einige Autographe verschiedener Komponisten. So überließ ihm Santini 1835 Hasses Regina coeli in der Handschrift des Komponisten, die er einige Jahre zuvor über Raphael Georg Kiesewetter aus Wien erhalten hatte, als Geschenk. Dies geht aus Anmerkungen in der Handschrift selbst, einem beigefügten Brief vom 11. Januar des Jahres (beides befindet sich heute im Besitz der Hasse-Gesellschaft Bergedorf) sowie auch dem Rechnungsbuch zwischen Santini und Kiesewetter hervor. In dem Brief sagte Santini eine abends geplante Verabredung mit Goddard ab („for I suffer for my nervs“) und schickte das Autograph als „little present“ mit. Im Brief sprach Santini jedoch offenbar versehentlich von einem Salve Regina.

Eine von Santini selbst erstellte Kopie des Werks, aus dem Autograph vor Versand erstellt, befindet sich noch heute in der Santini-Sammlung. Auch hier notierte Santini zunächst „Salve Regina“, strich anschießend das „Salve“ und ergänzte „Coeli laetare“. In seinem handschriftlichen Katalog findet sich zudem der Eintrag „Salve Regina a 4 con strom = fra li Originali = 771“. Die Signatur 771 findet sich (später mit Rasur entfernt) auch in der besagten Abschrift wieder und belegt, dass auch dieser Katalogeintrag eigentlich das Regina coeli meinte. Nach Goddards Tod verlief der weitere Weg der Originalhandschrift zunächst im Dunkeln. Erst 1996 tauchte das Autograph bei einer Auktion bei Sotheby’s in London auf und wurde für das Hasse-Archiv Bergedorf für mehr als 50.000 DM ersteigert. Heute gilt sie als wichtigste Quelle im Hasse-Archiv. Dass Santini diese wertvolle Handschrift dem Reverend Goddard schenkte, mag ein Indikator für den hohen Stellenwert dieses Tauschpartners und Freundes für den Sammler sein.

Darüber hinaus ließ Santini dem Reverend Autographe einer Motette von Alessandro Scarlatti und eines A-Cappella-Gesangs von Matteo Simonelli zukommen (heute in einer Handschrift in der British Library aufbewahrt). Dies zeigen außerdem auch die Vermerke in Santinis eigener Abschrift dieser Werke „LʼOriginale è in Chichester presso il Rndo Sig Eduardo Goddard“ bzw. „LʼOriginale presso il Reverd Sig Edvardo Goddard in Chichester“. Abschriftlich erhielt Goddard ebenfalls Musikalien von Santini, wie etwa Palestrina-Motetten oder eine Toccaten-Sammlung von Girolamo Frescobaldi, durch Santini in moderne Notenschrift gesetzt und zum Teil speziell Goddard gewidmet (siehe Vermerke in Santinis eigenem Exemplar).

Schließlich schickte Santini, wie vielen anderen Tauschpartnern auch, Eigenkompositionen an den Reverend. So widmete er ihm sein englischsprachiges Te Deum We praise thee o God für vier Vokalstimmen und Klavierbegleitung, wie der Vermerk „Inscribed to his friend The Revnd Edward Goddard“ in Santinis eigenem Exemplar nahelegt. Nähere Details liefert aber das an Goddard geschickte, heute in der British Library befindliche Exemplar: „Composed in the year 1842 for the Peace of China, and inscribed to his friend the Rnd Edward Goddard by Fortunato Santini“. Der gemeinhin als unpolitisch geltende Santini bezog sich hier auf den Vertrag von Nanking, der den ersten Opiumkrieg zwischen Großbritannien und China zum Nachteil Chinas beendete und unter anderem die Annexion Hong Kongs vorsah. Die Komposition war von Santini aufgrund des englischen Textes sicherlich auch für eine Aufführung im anglikanischen Kontext intendiert. Ob es 1842 in der parish church von Eartham dazu kam – womöglich im Rahmen eines Dankgottesdienstes zu besagtem Friedensvertrag–, bleibt offen.

Das Stück ist in einem Sammelband mit kirchenmusikalischen Kompositionen verschiedener italienischer Verfasser enthalten. Außerdem findet sich hier Santinis Dante-Vertonung Gli occhi dolenti. Auch dieses Stück existiert in der Santini-Sammlung, im Gegensatz zum Te Deum jedoch ohne jeglichen Vermerk mit Bezug auf eine Widmung an Goddard. Auch seine 12 für die Kathedrale von Gloucester komponierten geistlichen Gesänge kopierte Santini neben Frederick Ouseley ebenso für Goddard, wie ein Vermerk am Ende der Handschrift offenlegt („copiati per il Rev.d Goddard“).

Im Februar 1878, Goddards Todesjahr, wurde die Musiksammlung des Reverends bei Sothebyʼs in London versteigert und dabei mehr oder weniger verstreut. Einiges erwarb unmittelbar das British Museum für die Egerton Collection, wie der Catalogue of Additions to the Manuscripts in the British Museum für die Jahre 1876 bis 1881 nahelegt. Die Egerton Collection wird heute in der British Library aufbewahrt und enthält 26 aus dem Goddard-Nachlass stammende Handschriften, der Großteil davon von Santini erhaltene oder auch von ihm geschriebene Manuskripte. Im Übrigen besaß der offenbar auch kunstinteressierte Goddard eine Sammlung von Gravierungen, die er bereits zu Lebzeiten im Jahr 1867 bei dem Londoner Auktionshaus versteigern ließ.

Widmungswerk Santinis

Literaturhinweise

  • Datenbankeintrag „Person: Goddard, Edward Henry Emilius (1815 - 1835)“, in: Clergy of the Church of England Database.
  • Ammendola, Andrea und Schmitz, Peter: „Dokumente aus der Santini-Sammlung und dem Universitätsarchiv Münster“, in: Sacrae Musices Cultor et Propagator. Internationale Tagung zum 150. Todesjahr des Musiksammlers, Komponisten und Bearbeiters Fortunato Santini, hrsg. von Andrea Ammendola und Peter Schmitz, Münster 2013, S. 300–353, speziell der Abschnitt „Geschäfte und Kontakte“, S. 300–310, sowie der Abschnitt „Santini als Bearbeiter“, S. 318–322.
  • Burrows, Donald: „The ‘Carmelite’ Antiphons of Handel and Caldara“, in: Händel-Jahrbuch 46 (2000), S. 33–47.
  • Marx, Hans Joachim: „The Santini Collection“, in: Handel Collections and their History, hrsg. von Terence Best, Oxford 1993, S. 184–197.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

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