Fortunato Santini

*5. Januar 1777 in Rom
†14. September 1861 in Rom

Fortunato Santini, genannt Abbate, war ein italienischer Geistlicher, Musiksammler und Komponist. Er baute über ein halbes Jahrhundert lang eine umfangreiche Musikaliensammlung auf, die heute als Santini-Sammlung in der Diözesanbibliothek Münster aufbewahrt wird.

Santini wurde am Tag seiner Geburt in Sant’Angelo in Pescheria in Rom getauft. Sein Vater Giuseppe Santini starb wenige Wochen danach, sodass das Kind zunächst allein von seiner Mutter Caterina (geb. Barocci) großgezogen wurde, bis es im Juni 1784 in das Waisenhaus bei der Kirche Santa Maria in Aquiro kam. Hier erhielt der junge Santini bereits Musikunterricht bei seinem langjährigen Lehrer Giuseppe Jannacconi. Im Mai 1794 verließ er das Waisenhaus und wechselte in das benachbarte Collegio Salviati. Die musikalische Ausbildung bei Jannacconi wurde hier fortgeführt und sollte einen maßgeblichen Einfluss auf Santinis weitere Laufbahn und seine Musikauffassung ausüben. So lernte der Schüler die altitalienische Vokalpolyphonie mit ihrem wichtigen Vertreter Giovanni Pierluigi da Palestrina kennen und bekam auch die Fertigkeit der Spartierung derartiger Werke, also der Übertragung einzelner Stimmen in eine Partitur, vermittelt. Hinzu kam außerdem Orgelunterricht bei Giovanni Guidi.

Santinis spätere Sammelschwerpunkte wurden bereits in dieser frühen Phase maßgeblich vorbestimmt. So schrieb er rückblickend in einem Brief, dass die Instrumentalmusik in seiner Ausbildung vernachlässigt wurde und er dies dadurch in seiner Sammelaktivität ebenfalls tat. Am 31. Juli 1798 verließ Santini schließlich das Collegio Salviati. Es folgten ein Studium der Theologie und Philosophie und der Wechsel in das stark konservative Priesterseminar Seminario Romano, dem Santini auch Jahre später noch verbunden bleiben sollte – etwa durch die Widmung eigener Kompositionen. Aufgrund der französischen Besatzung Roms in den Jahren 1798 und 1799 empfing Santini die höheren und niederen Weihen zeitlich etwas versetzt. Die Priesterweihe folgte dann im Jahr 1801. Santinis Weihetitel ist nicht bekannt. Eine kirchliche Anstellung hat er wohl nie gehabt, vielmehr war er Kaplan an verschiedenen römischen Adelshäusern – so zunächst ab 1803 für 10 Jahre beim Fürstenhaus der Barberini.

Angestoßen durch seinen Ausbildungsweg begann Santini um die Jahrhundertwende damit, Musikhandschriften zu sammeln und zu kopieren oder Stimmenmaterial zu spartieren. Durch seine Anstellung bei den Barberini hatte er auch Zugriff auf die dortige Bibliothek, wo er seinen Interessen nachzugehen konnte. Handschriften aus diesem Zeitraum mit dieser Provenienz oder Kopien Santinis mit entsprechendem Vermerk zeugen davon. Ebenso widmete sich Santini schon früh der Komposition eigener Werke. Zu dieser Zeit wohnte er in der Via della Croce 26 in der Nähe der Spanischen Treppe, zusammen mit seiner (Halb-)Schwester Agata Carocci und weiteren, nicht näher bekannten Personen.

1813 wurde Santini dann Kaplan  bei Carlo Odescalchi, der zu diesem Zeitpunkt Prälat war und 1815 Richter des obersten päpstlichen Gerichts der Rota Romana wurde. Santini lebte nun in der Via Vittoria – einer Parallelstraße der Via della Croce – in der Hausnummer 49, weiterhin unter bescheidenen Verhältnissen mit seiner Schwester und weiteren Personen zusammen. Seine Musiksammlung konnte er dagegen im Palazzo Odescalchi unterbringen und dort mit ihr arbeiten.

1816 war ein einschneidendes Jahr für Santini: Sein Lehrer Jannacconi, dem er so sehr verbunden war und der ihn stark geprägt hatte, starb am 16. März. Als ehemaliger Schüler erbte Santini dessen kompositorischen Nachlass, sodass dieser vollständig in Santinis stetig wachsende Sammlung einverleibt wurde.

1820 veröffentlichte Santini einen gedruckten Katalog, der eine Auswahl der in seinem Besitz befindlichen Handschriften auflistete (Catalogo della Musica esistente presso Fortunato Santini in Roma. Nel Palazzo de’ Principi Odescalchi incontro la Chiesa de’ SS.XII. Apostoli). Interessierte konnten nun Handschriften gegen ein Entgelt bei dem römischen Sammler bestellen. Durch eine derartige Bewerbung der Höhepunkte seiner Sammlung konnte er sich sicherlich ein kleines Zubrot verdienen, mindestens genau so viel lag ihm aber daran, andere Musiker und Forscher von den Beständen profitieren zu lassen und sich mit ihnen fachmännisch auszutauschen. Der Plan ging auf: Durch den Katalog wurde man auch international auf Santini aufmerksam und Komponisten, Sammler und Forscher aus ganz Europa würden in den folgenden Jahrzehnten die Sammlung aufsuchen, Santini sein europaweites Tauschnetzwerk in Deutschland, England, Frankreich oder Russland stetig ausbauen. Dazu zählen beispielsweise Kontakte zur Singakademie in Berlin und den Direktoren Carl Friedrich Zelter, Carl Friedrich Rungenhagen und Eduard Grell, zu Carl Proske in Regensburg, Anton Friedrich Justus Thibaut in Heidelberg, Raphael Georg Kiesewetter und Aloys Fuchs in Wien, François-Joseph Fétis in Brüssel, Edward Goddard in England, Vladimir Stasov in St. Petersburg oder Aleksandr Skarjatin in Moskau.

1823 kam es für den sonst so sesshaften Santini, der die meiste Zeit seines Lebens in Rom verbrachte, zu einem mehrjährigen Ortswechsel: Odescalchi wurde zum Erzbischof von Ferrara und zum Kardinal ernannt und Santini begleitete ihn dorthin. Auch in Ferrara ging er seiner Sammeltätigkeit sowie der Komposition eigener Werke nach. 1825 kehrte Santini nach Rom zurück (endgültig evtl. auch erst nach dem Amtsverzicht Odescalchis im Juni 1826), wo er wieder mit seiner Schwester in der Via Vittoria 49 zusammenlebte. Mittlerweile hielten sich viele internationale Künstler in Rom auf und Santini baute seine Kontakte immer weiter aus. So lernte er 1825 Bernhard Klein und Karl Gottlieb Reißiger aus der Nachbarschaft kennen und freundete sich mit ihnen an. Der Künstler Julius Hübner, der sich mit seiner Frau Pauline auf Hochzeitsreise in Rom befand, fertigte 1830 ein Porträt Santinis an. Während seines Romaufenthaltes von November 1830 bis April 1831 lebte auch Felix Mendelssohn Bartholdy ganz in der Nähe, direkt an der Piazza di Spagna. Mendelssohn suchte Santini und dessen Sammlung bereits wenige Tage nach seiner Ankunft auf. Mendelssohn war es auch, der in einem Brief einen Hinweis auf eine Tätigkeit Santinis als Sänger in St. Peter gab. Ein entsprechendes Amt ist jedoch nicht bekannt, somit scheint es sich vermutlich nicht um eine sonderlich zentrale Tätigkeit gehandelt zu haben.

In diesen Jahren nahmen Santini und seine Schwester ein Waisenkind namens Saverio Cartegatti aus einem Waisenhaus in Ancona auf, den sie sehr lange unterstützen und fördern würden. Santini behandelte ihn wie einen eigenen Sohn, er nannte ihn „figliano“. Im Erwachsenenalter würde Cartegatti eine vermutlich nicht unwesentliche Rolle als Kopist für Santini spielen.

Nach dem Auszug aus der Via Vittoria an eine unbekannte Adresse zog Santini schließlich 1836 in die Via dell’Anima 50 und lebte dort weiterhin mit seiner Schwester und seinem Pflegesohn zusammen. In der Wohnung in der Via dell’Anima veranstaltete Santini fortan donnerstags Hauskonzerte, die zuvor bei Giuseppe Sirletti (ebenfalls ein Schüler Jannacconis) bis zu dessen Tod im Jahr 1834 stattgefunden hatten. Hier kam es zu Aufführungen vorrangig von Laienmusikerinnen und -musikern. 1839 soll aber auch Franz Liszt bei einem Konzert anwesend gewesen sein und die Klavierbegleitung übernommen haben. Mit den Hauskonzerten leistete Santini einen aktiven und wichtigen Beitrag zur Musikpflege in Rom.

1834 wurde Odescalchi Generalvikar in Rom und gelangte damit in eine sehr einflussreiche Position. Santini selbst bekleidete zwar nach wie vor kein offizielles Amt, konnte aber dennoch von dem wachsenden Einfluss seines Dienstherrn profitieren. Seine Verbindung zu Odescalchi ermöglichte es ihm in hohem Maße, in viele römische Archive zu gelangen und dort Abschriften von Musikwerken anzufertigen. Aufgrund seiner Anstellung begegnete man ihm nun offenbar mit mehr Respekt. Außerdem wurde Santini 1835 zum Mitglied der Accademia di St. Cecilia ernannt, dessen Protektor Odescalchi von 1834 bis 1838 war. Im Jahr 1837 wurde er außerdem Ehrenmitglied der Singakademie in Berlin. Weitere europaweite Ehrenmitgliedschaften zeugen von seinem Renommee.

1838 wurde zu einem weiteren einschneidenden Jahr für Santini: Kardinal Odescalchi trat in den Jesuitenorden ein und Santini verlor so nicht nur seinen Dienstgeber und die damit einhergehenden Vorzüge, sondern auch die Möglichkeit, seine Sammlung im Palazzo Odescalchi aufzubewahren. Fortan war er also gezwungen, sämtliche Musikhandschriften und Drucke  in seiner eigenen Wohnung in der Via dell’Anima unterzubringen. Immerhin bekam er eine Rente von monatlich 10 scudi aus Odescalchis Vermögen. Finanziell war es dennoch eine äußerst schwierige Zeit, da Santini sich um seine Schwester und seinen Pflegesohn kümmern musste. Wahrscheinlich in den 1840er Jahren gelangte er aber wieder an einen Posten als Kaplan, diesmal bei dem Fürstenhaus der Borghese.

1849 heiratete Santinis „figliano“ Cartegatti, er blieb mit Frau und bald drei Kindern dennoch in Santinis Wohnung. Die Verhältnisse – zumal mit der Sammlung vor Ort – müssen sehr beengt gewesen sein. Sicherlich war dies ein Grund, dass nach der Heirat Cartegattis und dem Anwachsen seiner Familie die Veranstaltung der donnerstäglichen Hauskonzerte in der Via dell’Anima beendet wurde. Aufgrund der finanziell angespannten Lage entschloss sich Santini Anfang der 1840er Jahre dazu, seine Sammlung gegen eine Leibrente zum Verkauf anzubieten. Dies stieß international auf großes Interesse, unter den Interessenten befanden sich namhafte Komponisten und Wissenschaftler: Otto Nicolai wollte die Sammlung für Berlin kaufen, auch Fétis und Stasov waren interessiert. Santini, der seine Sammlung in guten Händen wissen wollte, ließ sich reichlich Zeit mit seiner Entscheidung.

In den 1850er Jahren lernte Santini in Rom den vom Bistum Münster durch Bischof Johann Georg Müller geschickten Domvikar Bernhard Quante kennen und schätzen. So widmete Santini ihm eigene Kompositionen und zahlreiche Handschriften und Drucke mit Werken anderer Komponisten. Ausgelöst durch dieses gute Verhältnis zu Quante entschied Santini sich schließlich für das Bistum Münster als Käufer. Gemäß eines Beschlusses der Congregatio des Campo Santo Teutonico in Rom unter Vorsitz des Camerlengos Joseph Spithöver vom 19. März 1855 wurde die Sammlung bald darauf zum Campo überführt. Santini bekam eine Jahresrente von 465 Scudi – bis zur Kaufentscheidung des Bistums zunächst vom Campo Santo bezahlt – und ihm wurde Zugang zur Sammlung bis zu seinem Tod gewährt. Die Nutzung sollte sich allerdings schwieriger herausstellen als gedacht, da sich der Bestand offenbar in Unordnung befand, wie Santini sich in einem Brief beschwerte. Auch die Rentenzahlungen kamen offenbar unzuverlässig, wie aus einem Brief an Quante vom 13. Mai 1861 hervorgeht.

Santini machte auch nach dieser schwerwiegenden Entscheidung mit dem Sammeln und Kopieren weiter, was ihm mit zunehmendem Alter aber immer schwerer fiel. Er lebte weiterhin in der Via dell’Anima. Ende März 1855 zog Cartegatti aus, Santini selbst eine Etage tiefer zur Witwe eines Rechtsanwalts und ihren Söhnen. Ende 1858 zog die Witwen-Familie auf die Piazza Navona in den Palazzo Doria Pamphilj, wo etwa 70 Menschen wohnten. Santini folgte ihnen dorthin. 1860 nahm wiederum Cartegatti den altersschwachen Santini bei sich in der Via del Pellegrino 26 auf. Im Herbst des Jahres erkrankte Santini ernst und verstarb nach einem knappen Jahr am 14. September 1861 im Alter von 84 Jahren. Er wurde auf dem allgemeinen Friedhof in Rom beigesetzt.

Literaturhinweise

  • Ammendola, Andrea: Art. „Santini, Fortunato“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart online.
  • Engelhardt, Markus: „Santini in Rom“, in: Sacrae Musices Cultor et Propagator. Internationale Tagung zum 150. Todesjahr des Musiksammlers, Komponisten und Bearbeiters Fortunato Santini, hrsg. von Andrea Ammendola und Peter Schmitz, Münster 2013, S. 9–20.
  • Schmitz, Peter: „Zwischen Musikarchiven und Kardinalspalästen: Die Lebenswelten des römischen Abbate Fortunato Santini“, in: Sammeln – Komponieren – Bearbeiten. Der römische Abbate Fortunato Santini im Spiegel seines Schaffens, hrsg. von Peter Schmitz und Andrea Ammendola, Münster 2011, S. 9–20.
  • Schwedt, Hermann H.: „Abbate Fortunato Santini († 1861). Neue Quellen zur Biographie des römischen Musikliebhabers“, in: Sacrae Musices Cultor et Propagator. Internationale Tagung zum 150. Todesjahr des Musiksammlers, Komponisten und Bearbeiters Fortunato Santini, hrsg. von Andrea Ammendola und Peter Schmitz, Münster 2013, S. 21–80.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

Aktuelles

Neuer Online-Katalog für die Recherche! Beachten Sie bitte die Informationen zum neuen OPAC der Diözesanbibliothek und Mediothek.

Öffnungszeiten:

Montag – Freitag: 9 - 18 Uhr
Die Pflicht zum Tragen einer Maske entfällt und wird durch eine Empfehlung ersetzt.
Weitere Informationen

Edition Santini

Kontakt

Diözesanbibliothek Münster
Überwasserkirchplatz 2
48143 Münster
Fon 0251 495-6380
Fax 0251 495-76386
db-ms@bistum-muenster.de 
Ausleihe: dbms-ausleihe@bistum-muenster.de

Die Benutzung von Handschriften

und Alten Drucken, sowie von Musikalien der Santini-Sammlung ist nur nach vorheriger Terminabsprache (unter 0251 495-6380 bzw. db-ms@bistum-muenster.de) möglich. Bitte melden Sie sich rechtzeitig vorher und warten Sie unsere Antwort ab. Besonders in Ferienzeiten kann es vorkommen, dass wir Ihrem Terminwunsch nicht entsprechen können!

Advice

Opening times: 9 - 18  Monday to Friday

Library opening hours are subject to change without prior notice. Please check “Aktuelles” before visiting the Library.

Rare Books & Music Reading Room by appointment only (+49 251 / 495 - 6380 or db-ms@bistum-muenster.de)

Please contact us well in advance!

Logo Bistum Münster