Rechnungsbuch

Einen spannenden Einblick in Fortunato Santinis Tauschnetzwerk gibt das in der Sammlung erhaltene Conto fra il Rev. Sig: Abb. F. Santini e ʼl Consigl. Kiesewetter, dallʼanno 1826 fino al presente 1838, mese di Giugno. Es handelt sich um eine Art Rechnungsbuch, das den Musikalienaustausch zwischen Fortunato Santini und dem Wiener Musikhistoriker und Sammler Raphael Georg Kiesewetter von 1826 bis 1838 dokumentiert, der zu einem der wichtigsten Tauschpartner Santinis zählte. Kiesewetter ließ Santini in diesen 12 Jahren laut diesem Dokument ca. 120 Titel zukommen, umgekehrt schickte der Abbate insgesamt eine ähnliche Anzahl an den kaiserlich-königlichen Hofrat nach Wien. Das Schriftstück wurde von Kiesewetter geführt und nach Abschluss offenbar zu Santini nach Rom geschickt.

Ein detaillierter Blick auf den Aufbau des Rechnungsbuchs fördert wertvolle Informationen zur Provenienz einiger Musikalien in und aus der Santini-Sammlung zu Tage: Vor allem für Handschriften Antonio Caldaras erwies sich Kiesewetter als Vizepräsident der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien als eine gute Quelle. Außerdem schickte er Santini neben Werken weiterer italienischer Komponisten geistliche Vokalwerke vieler Verfasser aus dem deutschsprachigen Raum, wie etwa von Johann Joseph Fux oder Johann Georg Albrechtsberger. Auch das sechsstimmige Ricercar aus dem Musikalischen Opfer von Johann Sebastian Bach erhielt Santini über Kiesewetter und zwar als sechsstimmige Partitur „a sei strumenti“. Zu nennen sind darüber hinaus eine Zahl geschenkter Autographe, etwa von Antonio Salieri, ein Fragment der Nicolaimesse von Joseph Haydn, ein Magnificat von Georg Christoph Wagenseil oder Johann Adolf Hasses Regina coeli. Kiesewetter ließ Santini schließlich auch eigene Schriften als Geschenke zukommen, so seine 1829 erschienene Publikation Die Verdienste der Niederlaender um die Tonkunst und seinen 1831 erschienenen Aufsatz Die Tabulaturen der älteren Praktiker, diese dann in Druckform. Aus Rom schickte Santini fast ausschließlich Werke italienischer Komponisten nach Wien, insbesondere Kompositionen von  Giovanni Pierluigi da Palestrina und Giuseppe Ottavio Pitoni waren immer wieder in den Sendungen enthalten. Auch ein paar Eigenkompositionen ließ Santini dem Tauschpartner zukommen, wie etwa sein an mehrere Kontakte verschicktes und in Berlin recht erfolgreich aufgeführtes Cantate Domino canticum novum oder eine Komposition zu Kiesewetters Geburtstag. Zudem überreichte auch Santini seinem Tauschpartner einige Autographe als Geschenke, darunter die Kantate LʼOlimpia von Alessandro Scarlatti, ein Fragment von Georg Friedrich Händels Kantate Diana cacciatrice sowie eine Originalhandschrift seines Lehrers Giuseppe Jannacconi.

In tabellarischer Form wurden die ausgetauschten Manuskripte (bzw. in wenigen Ausnahmefällen Drucke) unter Angabe der Komponisten und der Titel sowie ihr Umfang angegeben. Dabei wurden auf einer Doppelseite immer links die von Santini („S.“) und rechts die von Kiesewetter („K.“) versandten Musikalien notiert. Der Umfang wurde im Conto mit „fogli doppi“ angegeben. Gemeint sind hiermit die ursprünglichen Papierbögen, die horizontal geteilt und dann gefaltet jeweils 4 Blätter bzw. 8 Seiten im Querformat ergeben, auch ersichtlich an den durchtrennten Wasserzeichen. Die meisten der Musikalien sind in diesem Quartformat überliefert, einige wenige dabei hochformatig (durch vertikale Teilung des Bogens). Das Cum sancto spiritu von Johann Ernst Eberlin in einer Kopie Kiesewetters stellt hingegen eine Besonderheit dar: Es handelt sich um eine Handschrift im Folioformat, die Bögen wurden also lediglich einmal entlang der kurzen Seite gefaltet, sodass ein großes Hochformat entstand. Wasserzeichen und Gegenmarke sind somit in ihrer Vollständigkeit mittig auf den jeweiligen Seiten positioniert.

Manchmal wurde für den Umfang nur ein Doppelstrich eingetragen. Bei den ersten dieser Fälle findet sich der Vermerk „regal[o]“, also Geschenk. Hierbei handelt es sich oftmals um besondere Titel, etwa Autographe oder bei Santinis Sendungen Eigenkompositionen, bei Kiesewetters Sendungen eigene musikwissenschaftliche Schriften. Es gehörte bei Tauschgeschäften gewissermaßen zum guten Ton, besondere Titel als Geschenke zu versenden (was durchaus auch zu unerwünschten Erwartungshaltungen führen konnte). Die anderen, mit ihrem Umfang dokumentierten Handschriften wurden im Rechnungsbuch dementsprechend berechnet bzw. verrechnet. Wie dies genau vonstattenging ist im Dokument nicht ersichtlich, regelrechte Preise sind nicht angegeben. Die hin und wieder eingezeichneten Linien unterteilen die aufgeführten Positionen in verschiedene Blöcke und markieren offenbar einzelne Sendungen. Insgesamt schickte Kiesewetter 15 Sendungen, in der Summe 602 „fogli doppi“, an Santini. Dieser dagegen schickte 14 Pakete mit insgesamt 635 ¾ „fogli doppi“ an den Tauschpartner nach Wien (N. B. Bei den seitenweisen Summierungen sind Kiesewetter geringe Fehler unterlaufen). Die Versanddaten der einzelnen Sendungen sind im Rechnungsbuch nicht angegeben, lassen sich aber vereinzelt aus den verschickten Musikalien und aus Briefen rekonstruieren, sodass zumindest eine grobe zeitliche Einteilung des 12 Jahre währenden Tauschgeschehens möglich ist. So bestellte Santini in einem Brief vom 9. Oktober 1831 Psalmvertonungen von Antonio Biffi bei Kiesewetter (Der Brief befindet sich heute in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien). Da die vorhergegangene Lieferung Kiesewetters Druck Die Verdienste der Niederlaender mit handschriftlicher Widmung vom 18. April 1832 enthält, sind somit beide Bündel frühestens auf das Jahr 1832 zu datieren. Der Versand der Handschrift mit dem bereits erwähnten Ricercar von Bach fand frühestens 1834 statt, da die Abschrift mit einem entsprechenden Datum versehen ist.

Von den ca. 120 Titeln, die Kiesewetter laut Rechnungsbuch an Santini versandte, sind bis auf ungefähr ein Dutzend alle Handschriften heute noch in der Santini-Sammlung enthalten. Die Zuordnung ist hier in den allermeisten Fällen ohne Zweifel möglich: So tragen einige Manuskripte Vermerke wie „Ex coll. R. Kiesewetter“, entweder von Kiesewetter selbst oder aber von Santini vermerkt. Darüber hinaus sind manche der mit dem Rechnungsbuch in Verbindung stehenden Handschriften von Kiesewetter geschrieben worden, noch mehr aber hat er für etliche Abschriften anderer Hand Titelblätter oder zusätzliche Informationen ergänzt, bis hin zu Bemerkungen und Korrekturen. Hin und wieder taucht Aloys Fuchs als Schreiber einiger Autographentitel auf. Zu erklären ist dies damit, dass Fuchs – selbst auch Sammler und direkter Tauschpartner von Santini – eng mit Kiesewetter zusammenarbeitete und für ihn Aufgaben als Agent, Sekretär und auch Kopist ausführte. Nicht alle Abschriften sind aber speziell im Zusammenhang mit Santinis Bestellung angefertigt worden, einige waren zuvor bereits existent, einige wenige stammen aus dem 18. Jahrhundert. Ähnliches gilt natürlich auch für die erhaltenen Autographe. Ein ergänzendes Indiz für die zweifelsfreie Provenienz vieler Musikalien ist außerdem die weitestgehende Übereinstimmung der Blattzahlen der Handschriften mit den im Rechnungsbuch angegebenen Bogenzahlen bzw. „fogli doppi“ (also im Verhältnis 4:1). Hinzu kommt die genaue Angabe der Bogenanzahl auf dem Titelblatt bei einem Großteil der Handschriften analog zur Angabe im Conto. Eine Ausnahme stellt die Abschrift des Requiems von Francesco Cavalli dar: Hier sind „f. 30“ notiert, obwohl der Umfang 60 Blätter und somit ursprünglich 15 Bögen beträgt und auch im Rechnungsbuch so angegeben wird. Santini hat hier daher entsprechend die Angabe „fogli Italiani 15 – [f. 30] allʼ esteri“ ergänzt – hier offenbar in der Annahme, „im Ausland“ würde der Umfang so gezählt bzw. gar kleinere Papierbögen verwendet werden. Schließlich hat Santini auch einige der von Kiesewetter erhaltenen Musikalien in seinem handschriftlichen Katalog mit Zusätzen wie „Musica di Vienna“ aufgeführt, sodass auch hier keine Zweifel bezüglich der Provenienz bestehen.
Kiesewetter überarbeitete die von Kopisten erstellten und für Santini gedachten Kopien vor Versand wie bereits angedeutet noch einmal sehr akribisch, oftmals finden sich Korrekturen mit der von ihm häufig verwendeten pinkfarbenen Tinte oder sogar überklebte Passagen. Dabei sind die farbliche Kenntlichmachung solcher Eingriffe sowie das Hinzufügen von Zusatzinformationen mit Hinweisen zu dieser Vorgehensweise, zur Provenienz der Vorlage oder zu biografischen Daten der Komponisten Ausdruck von Kiesewetters Pioniergeist im Bereich der musikhistorischen Editionspraxis. Im Fall von Cavallis Requiem fügte Kiesewetter zudem nach Fertigstellung der Kopie durch einen vermutlich von ihm beauftragten Kopisten einen selbst erdachten Basso continuo eigenhändig hinzu, mit dem Kommentar „Bass. contin. ad lib. addit. a me R.K.“. In der mutmaßlichen Vorlage im Fonds Kiesewetter findet sich im Übrigen ein ähnlicher Hinweis: „Orgelstimme und Bezifferung, zu beliebigem Gebrauch, beygefügt von dem Sammler.“

Dass Santini fast alle von Kiesewetter erhaltenen Handschriften behielt, ist wenig verwunderlich vor dem Hintergrund, dass es sich wohl meistens um gezielte Bestellungen bestimmter Desiderate und somit um wichtige Bereicherungen für seine Sammlung handelte. Für eine Auswahl besaß Santini nicht nur Kiesewetters handschriftlichen Catalog der musikalischen Sammlung des k:k: Hofrathes Raphael Georg Kiesewetter von 1826 (mit Hinweis „Allʼ Ab. Santini“), sondern zudem einen von Kiesewetter selbst geschriebenen Auszug dieses Katalogs (Estratto dal Catalogo di R. Kiesewetter). Möglicherweise hatte Santini dieses Dokument zuerst bekommen. Darauf könnte der Umstand hindeuten, dass die erste Paketsendung fast nur hier aufgeführte Stücke enthielt, während spätere Sendungen dann vor allem von Santini im Katalog angestrichene Titel beinhalteten. Einige Jahre später schickte Kiesewetter dann noch eine weitere, auf das Jahr 1831 datierte Bestandsliste (Elenco delle opere di alcuni Autori più notabili nella Collezione del Consigliere Kisewetter a Vienna, gleiches Papier und Wasserzeichen wie der Katalog) an Santini, der auch hier Anstreichungen von Stücken vornahm, deren Versand dann größtenteils auch im Rechnungsbuch dokumentiert ist. Vermutlich um die Mitte der 1830er Jahre entstand dann noch eine Liste Kiesewetters mit speziell an Santini gerichteten Empfehlungen (Pezzi da raccommandarsi al Sign. Abb. F. S.) – teils Titel aus dem Katalog, teils dort nicht enthaltene Titel – , in der Santini wiederum Markierungen der ihn besonders interessierenden Musikalien vornahm. So finden sich die meisten der in der Liste angestrichenen Titel im Rechnungsbuch vor allem im besagten Zeitraum wieder. Bei dem bereits erwähnten Requiem von Cavalli befindet sich der Hinweis Kiesewetters „Si trova presso il Copista.“, ein weiterer Hinweis darauf, dass der Consigliere für Bestellungen auch Kopisten engagierte. Auf der anderen Seite besaß Kiesewetter sicherlich auch Santinis Katalog von 1820, um sich über dessen Bestand informieren zu können. Gut die Hälfte der an ihn geschickten Handschriften sind hier entweder explizit oder mit Sammelbegriffen (wie etwa „Motetti“ oder „Messe“) aufgeführt. Andere mutmaßliche Vorlagen sind hingegen nachweislich erst Jahre nach Erscheinen des Katalogs entstanden bzw. in Santinis Sammlung gelangt.

Von den Handschriften, die Santini nach Wien schickte, sind häufig noch die Vorlagen bzw. die Abschriften in der eigenen Sammlung erhalten geblieben. Auch sind viele davon in seinen handschriftlichen Katalogen aufgeführt. Oftmals erstellte Santini auch eigens Zusammenstellungen diverser Kompositionen für Kiesewetter, die er verschiedenen Quellen seiner eigenen Sammlung entnahm. In der Sammlung des Consigliere selbst – heute Fonds Kiesewetter der Österreichischen Nationalbibliothek – lassen sich viele der Sendungen ebenfalls zum Teil zweifelsfrei ausfindig machen. Auch hier verblieb der Großteil der Handschriften in dessen Sammlung. Viele Handschriften stimmen hier ebenso von den Blattzahlen her mit den Angaben im Rechnungsbuch überein. In einigen Fällen finden sich weitere Hinweise: So trägt etwa eine Handschrift mit Palestrinas Missa Papae Marcelli in der Bearbeitung Francesco Sorianos den Vermerk „Romae ex privato Archivio Fortunati Santini“. Auch in der Santini-Sammlung ist diese in einer Abschrift zu finden.

Zu beachten ist schließlich, dass einige Handschriften in der Santini-Sammlung zu finden sind, die direkt mit Kiesewetter in Verbindung stehen, aber nicht im Conto aufgeführt werden. Entweder tritt er hier als Schreiber in Erscheinung oder aber es finden sich Vermerke, die auf eine Provenienz aus seiner Sammlung hinweisen. Dies ist in erster Linie damit zu erklären, dass auch nach Abschluss des Dokuments weiterhin Tauschgeschäfte zwischen den beiden Sammlern stattfanden. Das belegen auch einige Datierungen: So finden sich Handschriftenvermerke wie etwa „Ricevuto li 29 Luglio 1839 dal Cavaliere Giorgio Kieswetter“. Ein Exemplar von Kiesewetters Druck Ueber Tonmessungen und Temperaturen trägt den Vermerk Santinis „dall autore li 28 Luglio 1843 =“. Zudem überließ Kiesewetter Santini ebenfalls eine Kopie seines 1847 erschienenen Catalog der Sammlung alter Musik des k.k. Hofrathes Raphael Georg Kiesewetter Edlen von Wiesenbrunn in Wien, wie aus einem Brief an Santini vom 14. Juli 1847 hervorgeht. Dieses Verzeichnis ist heute im Gegensatz zum Katalog von 1826 jedoch nicht mehr in der Santini-Sammlung enthalten. Dafür existiert aber noch die als Zugabe zum Katalog von 1847 deklarierte Bestandsliste Galerie der alten Contrapunctisten, in der eine Einteilung der Bestände nach Epochen vorgenommen wurde. Auch einige der in der Liste Pezzi da raccomandarsi von Santini angestrichenen Titel finden sich heute in der Santini-Sammlung und stammen von eindeutig von Kiesewetter, finden aber im Conto keine Erwähnung. Denkbar wäre auch hier ein Versand erst nach 1838. Darüber hinaus scheint es auch Leihgaben gegeben zu haben. So vermerkte Santini in einer selbst angefertigten Abschrift des Beatus vir von Nicola Porpora von 1847, dass diese auf Grundlage einer von Kiesewetter erhaltenen Handschrift entstanden sei und verwies zudem auf einen (heute nicht mehr erhaltenen) Brief vom 16. August des selben Jahres („Da una Copia MS speditami dal Consigliere Aulico il Caval. G. R. Kieswetter, come la lettera scritta, e ricevuta li 16 Agosto 1847“). Das Werk ist zudem sowohl in Kiesewetters Katalog als auch in allen drei genannten Listen aufgeführt, in den Pezzi da raccomandarsi zudem von Santini auch angestrichen worden. Bei einer Sammelhandschrift von 1843 sprach er sogar explizit von einer Leihgabe Kiesewetters („Le sequenti N. 16 Composizioni mi sono frate mandate in prestito dal Sig. Consigliere R. Kiesewetter“). Von Fuchs finden sich außerdem um die 50 Originalhandschriften diverser Komponisten aus dessen Autographensammlung. Vermerke oder vollständig hinzugefügte Titelblätter durch ihn belegen dies. Ob sie direkt von ihm oder über Kiesewetter nach Rom gelangten, ist nicht eindeutig. Wie bereits erwähnt, arbeitete er eng mit Kiesewetter zusammen, sodass sie oft fast wie eine Einheit auftraten und offenbar von Santini auch so wahrgenommen wurden. Umgekehrt finden sich auch im Fonds Kiesewetter Handschriften, die von Santini stammen, aber nicht im Conto aufgeführt wurden (etwa ein weiteres Autograph Jannacconis), oder aber Hinweise auf einen Versand in Handschriften in der Santini-Sammlung wie etwa „nunc Vienna apud Kiesewetter“. Und schließlich führte Santini in seinem handschriftlichen Katalog Titel mit dem Vermerk „Musica di Vienna“ auf, die weder im Rechnungsbuch vermerkt noch heute in der Santini-Sammlung überliefert sind.

Das Verbleiben der meisten Handschriften aus den Tauschgeschäften mit Kiesewetter in der Santini-Sammlung bedeutet aber keineswegs, dass der eifrige Santini sie nicht wiederum weiter verbreitete. Zu nennen ist hier vor allem die große, 90 Bände umfassende Abschriften-Produktion für Aleksandr Skarjatin, für die um die 35 der im Rechnungsbuch aufgeführten Handschriften kopiert wurden. Die Abschrift von Giacomo Carissimis Sette Sacri Concerti enthält einen Vermerk Santinis auf dem Titelblatt „N. B. 3. 4. e 5 mandato in Berlino“ sowie auch kurze Hinweise bei den entsprechenden Nummern, die auf einen Abschriftenversand an einen seiner Tauschpartner in Berlin verweisen. Von einer Handschrift mit Versikeln Leonardo Leos fertigte Henrik Rung, der ab Dezember 1837 in Rom aufhältig war und auch Santinis Bibliothek besuchte, selbst eine Abschrift an. Der Vermerk „H. Rung Roma Octob. 1838“ und die Tatsache, dass die Abschrift exakt den gleichen Titel wie Santinis Exemplar besitzt, legen diese Provenienz äußerst nahe. Santinis Exemplar, das zweifelsfrei aus Wien stammt – Schreiber ist Kiesewetter –, trägt kurioserweise dennoch den Vermerk Santinis „Ricevuto da Thibaut di Hydelberg“. Vermutlich war der fleißige Sammler hier selbst etwas durcheinander geraten und war womöglich etwas später der Ansicht, die Handschrift von seinem Tauschpartner Anton Friedrich Justus Thibaut aus Heidelberg erhalten zu haben. Seinem Tauschpartner Edward Goddard aus England schickte Santini ebenfalls eine Kopie des Werks zusammen mit 9 Lamentationen Leos, deren Vorlage er ebenfalls von Kiesewetter erhalten hatte. Die Blattanzahl der Goddard übersandten Handschrift stimmt genau mit jener der aus Wien erhaltenen Exemplare überein, sodass diese ziemlich sicher als Vorlage gedient haben dürften.

Zeugen Santinis Beschäftigung mit den Musikalien aus Wien sind darüber hinaus seine eigenhändigen Ergänzungen von Noten, Generalbassbezifferung, Text oder jeglichen Anmerkungen in einigen der Handschriften, so zum Beispiel im Regina coeli und im Miserere von Caldara oder der Missa Clementina von Benedetto Marcello. Für die besagten Sette Sacri Concerti von Carissimi hat er gar eigenhändig eine weitere, ursprünglich ausgelassene Nummer eingefügt (Nr. 4), die Folgenummerierung um 1 nach oben korrigiert sowie das ursprüngliche „Sei“ auf dem Titelblatt mit „Sette“ überschrieben. Zu erwähnen ist darüber hinaus das eigenhändige Extrahieren und Beifügen von Stimmmaterial, etwa beim Dextera Domini von Albrechtsberger oder dem Scherzo Venerabilis barba capucinorum von Giovanni Battista Pergolesi. Hier lässt sich zumindest eine intendierte praktische Ausführung der Werke vermuten. Letztlich sind dies einige der vielen Beispiele, die Felix Mendelssohn Bartholdys Aussage über den Sammler Santini „die Musik interessirt ihn eigentlich nicht viel, sobald sie nur in seinem Schranke steht“ (Felix Mendelssohn Bartholdy: Sämtliche Briefe Band 2. Juli 1830 bis Juli 1832, hrsg. von Anja Morgenstern, Kassel 2009, S. 163) doch als zu oberflächlich erscheinen lassen.

Rechnungsbuch

Literaturhinweise

  • Ammendola, Andrea und Schmitz, Peter: „Dokumente aus der Santini-Sammlung und dem Universitätsarchiv Münster“, in: Sacrae Musices Cultor et Propagator. Internationale Tagung zum 150. Todesjahr des Musiksammlers, Komponisten und Bearbeiters Fortunato Santini, hrsg. von Andrea Ammendola und Peter Schmitz, Münster 2013, S. 300–353, speziell der Abschnitt „Musikalienaustausch mit Raphael Georg Kiesewetter“, S. 311–317.
  • Kier, Herfrid: Raphael Georg Kiesewetter (1773–1850). Wegbereiter des musikalischen Historismus (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 13), Regensburg 1968.
  • Meier, Franziska: „Exponatbeschreibung“, in: Sammeln – Komponieren – Bearbeiten. Der römische Abbate Fortunato Santini im Spiegel seines Schaffens, hrsg. von Peter Schmitz und Andrea Ammendola, Münster 2011, S. 60–65, speziell S. 62–65.
  • Reininghaus, Till: „Der Wiener Musiksammler Aloys Fuchs im zeitgenössischen Kontext“, in: Sacrae Musices Cultor et Propagator. Internationale Tagung zum 150. Todesjahr des Musiksammlers, Komponisten und Bearbeiters Fortunato Santini, hrsg. von Andrea Ammendola und Peter Schmitz, Münster 2013, S. 209–239.
  • Stasov, Vladimir: LʼAbbé Santini et sa collection musicale a Rome, Florenz 1854, hier fünf heute verschollene Briefe Kiesewetters an Santini, S. 15, 21–22, 67–69.

Verfasser: Michael Werthmann

28. September 2022

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