Europa: Austausch und Bewegung

"Alle Wege führen nach Rom" – das Ausgangsmotto des Leitthemas "Europa: Austausch und Bewegung" im Europäischen Kulturerbejahr 2018 trifft auf das Europa der Musikliebhaber im 19. Jahrhundert nicht nur im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich zu. Zahlreiche Komponisten, Virtuosen oder musizierende Laien reisten nach Rom und nicht selten war die berühmte Musikaliensammlung des Abbate Fortunato Santini (1777 – 1861) ihr Ziel. Der römische Geistliche besaß ein bekanntes und geschätztes Archiv von Notenhandschriften und Musikdrucken, dessen Stückzahlen in die Tausende gingen. Überliefert sind in der heutigen Santini-Sammlung in Münster etwa 20.000 Titel in ca. 4500 Handschriften und ca. 1200 Drucken. Die Sammlung wurde fortlaufend praktisch genutzt: Es wurde kopiert und verbreitet, ein musikalischer Zirkel ließ einen Ort der Aufführung, des Austausches und der Kommunikation entstehen. Der Sammler selbst unterhielt ein europaweites Netzwerk von Paris über Oxford bis St. Petersburg, um Noten zu erwerben oder zwecks Abschrift zu entleihen.

Drei Notenhandschriften aus der Santini-Sammlung werden hier exemplarisch vorgestellt, deren Materialität und Provenienzspuren eindrucksvoll Zeugnis ablegen vom fruchtbaren kulturellen Austausch über die Grenzen der Stadt Rom hinweg in einem europäischen Kontext.

Ein Geschenk aus prominenter Hand (SANT Hs 2468)

Im Jahr 1828 erhielt Fortunato Santini ein wertvolles Geschenk: eine zeitgenössische Abschrift der 1745 in Neapel uraufgeführten Oper "Achille in Sciro" von Gennaro Manna (1715 – 1779). Die Noten waren prächtig gebunden worden: in einen klassizistischen Ledereinband mit Goldprägung und blauer Teilkolorierung. Ein grünes, mit Goldfäden durchwirktes Gewebe bildete die Schließbänder, die Vorsatzblätter wurden marmoriert, der Schnitt vergoldet. Erste Besitzerin des reich dekorierten Bandes war nach dem Zeugnis des Supralibros die Herzogin von Cassano in Neapel, vermutlich Laura Serra, III. Duchessa di Cassano (1723 – 1790). Santini wurde nach seinen eigenen Angaben von einer anderen prominenten Dame beschenkt, deren Familie um 1800 die Geschicke Europas lenkte: Die "Principessa Gabrielli Bonaparte" war keine Geringere als Charlotte Bonaparte Gabrielli (1795 – 1865), eine Nichte Napoleon Bonapartes.

©: Diözesanbibliothek Münster, Foto: Stefan Jahn

Europäischer Kulturtransfer auf Umwegen (SANT Hs 2773)

Nicht selten waren persönliche Bekanntschaften in Rom der Ausgangspunkt für neue Tauschbeziehungen des Abbate mit ausländischen Künstlern und Musikliebhabern. Eine solche Bekanntschaft ergab sich mit Reverend Edward Goddard, einem englischen Musikkenner. Vermutlich war er es, dem Fortunato Santini die Ergänzung seiner Mozart-Bestände um die Motette "Alma Dei Creatoris" in F-Dur (KV 272a) verdankte. Das vierstimmige Stück lag Santini nämlich mit dem Hinweis vor: "This charming and very rare composition was pointed out to Vincenzo Novello by Mozart’s own son, at Salisburg in July 1829". Die Überlieferung des Werks hatte also den Umweg über England genommen, und tatsächlich ist die Geschichte auch aus den Tagebüchern des englischen Musikverlegers Vincent Novello (1781 – 1861) bekannt. 1829 war er zur Familie Mozart nach Salzburg gereist. Er überbrachte der schwer erkrankten Schwester Nannerl kurz vor ihrem 78. Geburtstag eine Geldspende, die Mozart-Verehrer in London gesammelt hatten. Bei dieser Gelegenheit vernahm er erstmals die Motette, die anschließend ihren Weg durch Europa nahm und auch den sorgsam dokumentierenden Santini in Rom erreichte.

©: Diözesanbibliothek Münster, Foto: Stephan Kube

Jenseits der nationalen und konfessionellen Grenzen (SANT Hs 263)

Eine große Verehrung der alten Meister aus dem deutschen Sprachraum verband den Sammler Santini mit der Berliner "Sing-Akademie" unter der Leitung von Carl Friedrich Zelter (1758 – 1832) und mit dem jungen Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847), der mehrfach von seinen Begegnungen mit Santini nach Hause berichtete. Die Musik half, nationale und konfessionelle Grenzen zu überwinden: Der römisch-katholische Priester in Italien wollte zum Mittler der protestantischen Kirchenmusik aus Nordeuropa werden. Er bearbeitete Werke von Georg Friedrich Händel (1685 – 1759) oder Carl Heinrich Graun (1704 – 1759). Musikalisch folgte er weitgehend den originalen Vorlagen, die deutschen Texte aber übertrug er stets zum besseren Verständnis für seine Landsleute ins Italienische oder Lateinische. "O Domine" lautete also der Ruf anstelle von "Herr, Herr, Herr", wenn der Eingangschor der Johannespassion (BWV 245) von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) "ex Germanico sermone in Latinum versum" in Rom gesungen wurde. Der Passionsmusik Bachs ihren Weg in die Liturgie der römischen Kirche zu ebnen war das weitblickende Ziel des Europäers Santini.

©: Diözesanbibliothek Münster, Foto: Stephan Kube

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